Laudatio: Margarete Stern. Malerin. Fecit.
Städtische Galerie im Kulturhof, Speyer, 17.12.2021
Sehr geehrte Damen und Herren, werte Freunde der schönen Künste,
liebe Margarete.
Ich freue mich sehr, dass ich hier einige Worte zu deinen Bildern sagen darf. Es ist eine große Ehre für mich und ich danke dir für dein entgegengebrachtes Vertrauen.
Ich darf mich kurz vorstellen: Mein Name ist Wolfgang Eberhardt und ich beschäftige mich schon mein ganzes Leben lang mit Kunst,
leider nicht so erfolgreich wie du.
Da ich die Aufnahmeprüfungen an verschiedenen Kunstakademien nicht bestanden habe und auch vom Berufsverband Bildender Künstler abgelehnt wurde, blieb mir nichts anderes übrig, als den wenig geachteten Weg des Hobbymalers und Dilettanten zu gehen. Meine fehlende akademische Ausbildung und mein künstlerisches Scheitern hatten allerdings auch einen großen Vorteil:
Sie bewahrten mir meine kindliche Neugierde, ließen mich immer wieder fragen, wie haben die anderen das gemacht.
Wie hast DU das gemacht, Margarete?
Und damit sind wir wieder bei DIR und DEINEM Ausstellungstitel:
fecit, gemacht.
Zum einen wendest du dich damit an ein gewisses großbürgerliches Publikum, das der lateinischen Sprache mächtig ist und den Titel versteht.
Zum anderen triffst du damit eine persönliche und inhaltliche Aussage:
Du reihst dich ein in jene lange Reihe traditioneller, selbstbewusster Künstler von der Renaissance bis in die Gegenwart, die ihre Signatur mit dem Zusatz “fecit” versehen, wie z.B. ein Rembrandt oder Johann Sebastian Bach in der Musik.
Die Signatur mit diesem Zusatz ist somit Ausdruck humanistischen Gedankengutes, reflektiert den Künstler als Urheber und Schöpfer eines Werkes, das sich von der Alltagsproduktion, wie z.B. der Herstellung von Stühlen, Kuchen und Buttermilch abhebt und auf eine eigene geistige Leistung und geistiges Eigentum verweist.
Der frühe Kunsthistoriker und Berater der Medici, Giorgio Vasari, schildert dazu in seinem Buch “Das Leben des Michelangelo” eine nette Anekdote: Michelangelo befand sich in der Kirche St. Peter in Rom vor seiner berühmten Pietà als er nebenbei einigen Pilgern zuhörte, von denen einer großspurig behauptete, dass ein Bekannter von ihm aus seiner Heimatstadt Milano, irgend so ein Beppo oder wie auch immer, diese kostbare Skulptur geschaffen habe.
Michelangelo regte sich unheimlich darüber auf, lässt sich abends unbemerkt in der Kirche einschließen und meißelt über Nacht seinen Namen mit dem Zusatz “fecit” in die Statue.
Er setzt seine Signatur aber nicht irgendwo unten am Sockel an.
Nein, er knallt seinen Namen der Jungfrau Maria mitten auf die Brust, auf eine schmale Schärpe. Er stellt sich also mit seiner “Persona” zwischen Maria und ihrem Sohn Jesus.
welch eine Herausforderung und geistiges Titanentum!
Doch kommen wir wieder zurück in die Gegenwart.
500 Jahre nach Michelangelo taucht das Wort “fecit” wieder auf, allerdings in seiner, wie man so schön sagt “neudeutschen” Variante, in dem Anglizismus “made” - “gemacht”.
Wir alle kennen es in dem Qualitätsmerkmal “made in Germany”.
Hat das auch etwas mit Magaretes “ fecit” und ihrer Kunst zu tun?
Ich glaube ja.
In seiner ursprünglichen Form wurde “€žmade in Germany” allerdings abwertend benutzt.
Im Rahmen der fortschreitenden Industrialisierung und des Ersten Weltkrieges, den Deutschland verloren hatte, wollten die Engländer und Amerikaner mit dieser Warenkennzeichnungspflicht die deutschen Produkte abwerten.
Unter dem Slogan “Buy British” sollten die Waren vom Kriegsgegner erkannt und boykottiert werden, ähnlich wie man es im 3. Reich mit dem Spruch “Kauft nicht bei Juden” versuchte.
Nach dem verlorenen 2. Weltkrieg ergab sich für die deutsche Kunst eine ähnlich, folgenschwere Konstellation, was die Inhaltlichkeit betrifft:
Ich spreche hier vom Konflikt zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, dem viele gegenständliche Maler zum Opfer gefallen sind.
Du Margarete, dein Lebenspartner Reinhard Ader und auch ich, wir hatten es alle sehr schwer, uns mit unserer naturalistischen Kunst Anerkennung zu verschaffen. Fast ein halbes Jahrhundert bestand hier in Deutschland eine “Diktatur der Abstraktion”! Selbst heute noch bei der aktuellen Vorstellung der BBK-Mitglieder auf Instagram ist dieses Verhältnis 35:7 zu Gunsten der Abstraktion.
Man kann sagen, die gegenständlich-figurative Malerei wie du sie betreibst, war die “Entartete Kunst” der letzten Jahrhunderthälfte.
Erst vor wenigen Jahren ist durch die Autobiografie eines gewissen Tom Braden das ganze Ausmaß dieses Konfliktes bekannt geworden:
Braden war ein hoher CIA-Agent, befreundet mit den Kennedys und den Rockefellern.
1950 gründete er in Berlin den “Kongress für kulturelle Freiheit” als Tarnorganisation des CIA, der damit über ein wirkungsvolles Propagandainstrument gegen den Kommunismus und für den “american way of Life” verfügte.
Germany sozusagen made in USA, war das geheime Programm, das bis heute fortwirkt. Daran musste ich denken, als ich die vielen englischen Titel deiner Bilder gelesen habe. Ich weiß, einige beziehen sich auf Musiktitel.
Mit einem riesigen Geldbetrag, man spricht von ca. 1 Milliarde Dollar, wurde in verdeckten psychologischen Operationen versucht, Europa fest an Amerika zu binden.
Dazu gehörte insbesondere die finanzielle und mediale Förderung der ersten, eigenen amerikanischen Kunst, des Abstrakten Expressionismus.
Hauptvertreter und Protagonist Jackson Pollock lief meist im betrunkenen Zustand über die auf dem Boden liegenden Leinwände und schüttete oder tröpfelte Farbe drauf.
Seine Action-Paintings wurden im “Kalten Krieg” zum Aushängeschild für den freien Westen und die freie Kunst und dominierten fortan Museen und den gehobenen Kunstmarkt.
Der Deutsche Künstlerbund unter Leitung von Georg Meistermann entschied sich Anfang der 50iger Jahre einstimmig für die Abstraktion und gegen die figürliche Malerei.
Meine Damen und Herren, entschuldigen Sie, wenn ich vielleicht etwas weit ausgeholt habe.
Ich wollte damit Ihren Blick auf die besondere Leistung unserer Künstlerin lenken, die ja nicht erst jetzt, sondern schon seit über 35 Jahren ihren Weg geht, unabhängig vom Mainstream. Die nicht kleckst, tröpfelt oder existentialistisch über die Leinwand fegt, sondern zielgerichtet plant, komponiert und inszeniert.
Die Inhalte, Aussagen, Emotionen einsetzt, um uns Betrachter zu fesseln und zu inspirieren.
Da meldet sich bei mir meine anfangs erwähnte Neugierde und fragt, wie hat sie das gemacht, fecit?
Werfen wir dazu einen Blick auf ihre Gemälde.
Gattungsmäßig handelt es sich dabei um Stillleben, Landschaften und viele Porträts.
Auffällig ist sofort, dass es sich nur um Frauenporträts handelt,
Frauen oder Mädchen, die zumeist in sich gekehrt sind, nachdenkend, träumend, abwesend, manchmal aber auch fragend, direkten Blickkontakt zum Betrachter suchend.
Welche Rolle gesteht die Künstlerin damit dem männlichen Geschlecht zu, immerhin 49,3 % der deutschen Bevölkerung?
Ich kann es nur aus meiner sehr persönlichen Empfindung erahnen:
Der Mann als Voyeur.
Ich selbst bin ein Voyeur.
Ich betrachte gerne Margaretes Frauen, die sich ausziehen (Bild August), die da lässig hingestreckt zwischen Blumen liegen (Just tired), die etwas zu verbergen suchen (Under a Veil of Secrety) unter dem Mantel der Verschwiegenheit), die sich im Garten der Lüste bewegen.
Voyeurismus ist sozusagen für mich eine Grundvoraussetzung des künstlerischen Schaffensprozesses, beziehungsweise auch eine Berufskrankheit.
Und tatsächlich hat die Weltgesundheitsorganisation WHO den Voyeurismus nach ICD-10 als eine Störung der Sexualpräferenz und somit als “Krankheit” eingestuft.
Deshalb, liebe Vernissagebesucher, befragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker, wenn Sie bemerken, dass Sie Margaretes Gemälde zu lange betrachten.
Sandro Botticelli, Rembrandt, Tizian, Bernini, Goya, Klimt, Schiele, Richter, ja fast alle Künstler zeigen uns die Schönheit der Frau und thematisieren sogar die männliche Schaulust, z.B. Tizian mit seinen vielen Venusdarstellungen.
Margaretes Frauenbilder unterscheiden sich von dieser zumeist objekthaften, sexistischen Sichtweise:
Ihren Mädchen und Frauen ist eine Sensibilität, Verletzlichkeit und Introversion zu eigen, die oft durch ein dekoratives Muster, schöne Formgebung und eine expressive Farbigkeit verdeckt wird.
Von Sandro Botticelli, der Ihnen mit seiner “Geburt der Venus”, dem ersten lebensgroßen Akt in der abendländischen Kunstgeschichte bekannt ist, möchte ich den Bogen schlagen zu Margaretes Gemälde “Stormy weather”.
Ausschlaggebend dabei war für mich das Motiv der Muschel, sowohl bei Botticelli als auch bei Stern, das sie aber als Dekor über den Oberkörper der Frau setzt.
Interessant und tiefenpsychologisch interpretierbar ist dabei die Tatsache, dass das Muschelornament nicht den Körperformen wie bei einem Blusenstoff folgt, sondern flächenhaft die Brust, den Körper, also die Anatomie überdeckt.
Damit wird klar, dass das Ornament bewusst im Kontrast zu dem restlichen Bild steht.
Wahrnehmungsmäßig hat ein Ornament, neben den schmückenden und verzierenden Eigenschaften, die Aufgabe, durch seine geometrischen Elementarformen und Wiederholungen einen Ausgleich zu der Vielzahl der chaotischen Bildreize zu geben.
Bei Botticelli steht Venus nackt in einer Muschel und wird von Zephyr, dem Westwind, unter Rosen sanft ans Ufer der Insel Kythera geweht.
Bei Margarete hingegen herrscht “Stürmisches Wetter”:
Der Sturm zerzaust wellenartig die blau-schwarzen Haare der Stern’schen Venus und mischt den Hintergrund expressiv auf.
Gegen die Wucht der inneren Emotionen setzt die Künstlerin das beruhigende und Halt gebende Muschelornament, dass auch wieder in ihrem Dani-Porträt auftaucht.
Ihre Frauen, wie auch hier, haben die Augen geöffnet. Sie verfolgen aber kein aufregendes Spektakel, sie schauen nach innen, sie sind in Gedanken versunken und träumen.
Abschließen möchte ich mit meinem persönlichen Lieblingsbild dieser Ausstellung: “Im Boot”, aus der Kindheitsserie.
Die Künstlerin führt uns wie beim Lesen von links nach rechts über einen begrünten Zweig in das Bildgeschehen, zum Kind im Boot, das dort genauso befremdlich steht, wie die Botticelli´sche Venus in der Muschel.
Merkwürdigerweise gibt es keine Bootsleine, keine Verbindung zum Land, keinen rettenden Anker, keine Aufsichtspersonen. Ja, das Kind hat noch nicht mal Paddel, um das Boot zu manövrieren, wenn es das denn könnte.
Es treibt einfach stehend auf dem Gewässer, das mehr ist als ein Bach, aber weniger als ein Fluss oder Strom.
Es hält seine geöffneten Hände schalenförmig wie ein Gefäß vor seinen Körper.
Das Boot, in dem sich das Kind befindet, wiederholt diese Formgebung.
Mir sagt die Künstlerin mit diesem Gemälde Folgendes:
Es gibt in meinen Bildern mehr, als das, was man sehen kann.
Als Inhalt ihrer geöffneten Hände zeigt sie uns weder gefundene Steine, Muscheln oder Ostereier.
Nein, es ist etwas Unsichtbares, Geistiges:
Es ist ihr eigenes Wesen, das sie schützend in ihren Händen hält und an dem wir betrachtend, meditativ teilhaben dürfen.
Das Boot ist mehr als ein Spaßgerät im Naherholungspark.
Es steht seit alten Zeiten und insbesondere bei Caspar David Friedrich, Arnold Böcklin und auch bei Margarete für unseren Lebensweg:
von dem einen sichtbaren Ufer unserer Herkunft zu dem anderen unbekannten und ungewissen Ufer unsrer jenseitigen Existenz.
Dazwischen liegt der Lauf unseres Lebens, unser Lebenslauf.
Margarete hat diesbezüglich schon eine weite Strecke hinter sich gelegt, ein aufregendes Leben geführt, sich um Männer, Kinder und Enkelkinder gekümmert und ganz viele Bilder gemalt.
Was sie uns aus ihrer Kindheit mitbringt und was sie uns in ihren offenen Händen anbietet, ist ihre Vision.
Aus der christlichen Kunst und Liturgie ist uns die Abendmahlszene geläufig, als Christus das Brot bricht und es mit einem ähnlichen Gestus anbietet und spricht: “Nehmet hin und esset: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird”.
Das was DU, liebe Margarete, uns mit diesem Werk und mit dieser ganzen Ausstellung anbietest, sind nicht nur die Bilder, die du hergibst und die man kaufen kann.
Es gibt da noch einen weiteren Aspekt, und das ist der, dass du mit dem, was du tust, mit deiner Existenz als Künstlerin, andere Menschen inspirierst.
Du lebst Inspiration und andere werden von dir dadurch inspiriert, und das wird honoriert!
Ich danke dir dafür!
Und auch Ihnen, meine Zuhörer, dass Sie mich auf dem Wege meiner Neugierde und Fragen aufmerksam begleitet haben.
Die Ausstellung ist eröffnet.
Wolfgang Eberhardt, Dezember 2021